Direct Drive
Mut zur Lücke: Der DIRECT AMP No.280 von WBE wird für viele Menschen niemals in Frage kommen.
Das ist ihr Pech.
Walter Bret traut sich was. Er stattet seinen Direct Amp No. 280 mit einem dünnen und fest installierten Netzkabel aus. Da fällt nicht nur für den HiFi-Händler das Zubehör-Geschäft mit einem "Power Chord XYZ123" flach, auch der HiFi-Freund selbst kann montags in der Selbsthilfegruppe von keinem Kabelexperiment mehr erzählen. Warum macht Walter Bret das? Seine Antwort: Das feste Kabel habe keine sich auf Dauer schleichend verschlechternden Kontakte und sorge mit seinem definierten Längswiderstand im Zusammenspiel mit den Parametern des Netztrafos und der Elkos für einen konstanten Innenwiderstand des Gesamt-Netzteils und übernehme eine Filterfunktion ohne Dynamikverlust. Walter Bret orientiert sich bei seinen Entscheidungen nicht am Markt, sondern am Klang. Das wäre geklärt.
Aber Walter Bret traut sich noch mehr. Sein Vollverstärker besitzt nur zwei (!) Eingänge. Das ist selbst für kleine Anlagen - CD, LP und Radio hat ja wohl jeder - ziemlich wenig, seien wir offen: zu wenig. Warum macht Walter Bret das? Seine Antwort: Weil es besser klingt. Die Quellenwahl könne so mit nur einem Relais realisiert werden: Beim einen Eingang befinde es sich in Ruhestellung und stelle allein durch die Auflagekraft den Kontakt im Signalweg her - ohne elektrische Spannung und ohne die damit verbundenen Magnetfelder. Beim anderen Eingang sei das Relais dann eben geschaltet. Außerdem gehe eine Reduzierung der Eingänge automatisch mit einer Reduzierung der anliegenden Massen einher. Auch das klinge besser.
Walter Bret stellt sich für den No. 280 eine ganz bestimmte Zielgruppe vor: Musikfreunde, für die seine getrennten Verstärkerkombinationen nicht in Frage kämen, die aber kompromisslos auf Klangqualität achteten und bereit seien, dafür Komfort-Abstriche hinzunehmen. Sagte ich schon, dass man diesen Vollverstärker ausschließlich per Fernbedienung steuern kann? Für mich die größte Komfort-Einbuße überhaupt. Ich suche das Ding dauernd, von alleine kommt es ja nicht, obwohl es "lernfähig" sein soll.
Der statisch geschirmte und vergossene 500VA-Ringkerntrafo besitzt für jede Verstärkerseite sowie die Vorstufensektion, aber auch für Bedienung und Steuerung galvanisch getrennte Wicklungen. Rechter und linker Verstärkerzug haben eine separate, mit Schaltdioden realisierte Gleichrichtung und Elkobatterien mit einer Siebkapazität von 40.000 Mikrofarad sowie zusätzliche Puffer an den Bedarfsstellen. Die sechs Treiber-Transistoren pro Kanal stammen von MJE, bei den vier Leistungstransistoren je Stereo-Seite handelt es sich um Mosfets von Hitachi. Alle Transistoren arbeiten mit hohem Ruhestrom, der gesamte Verstärker mit hoher Gegenkopplung.
Der No. 280 ruht auf dämpfenden Chromfüßen und hat ein stabil anmutendes und in seiner schwarzen Schlichtheit sogar schönes Gehäuse, dessen Rückwand ein martialischer Kühlkörper einnimmt. Besondere Freude machen die Schraubklemmen für den Anschluss von Lautsprechern. Man kann mit ihnen von Hand einen viel höheren Anpressdruck erzeugen als mit den leider zum Standard gewordenen WBT-Terminals. Nur Burmester und Mark Levinson verbauen noch griffigere Klemmen.
Kennt das noch einer? "Big Bubbles, No Troubles" von Ellis, Beggs & Howard? Dieser rasant blubbernde Bass, die akustischen Effekte im Raum, irgendwelche Pings und Pongs und dann der Gesang - wahrlich kein audiophiles Kleinod, sondern Musik aus meinem Abi-Jahr, die schon deshalb meine Sympathie hat, ich aber ewig nicht mehr gehört habe. Der WBE bringt das knackscharf, druckvoll, explosiv und groovy über die Lautsprecher. Ich habe meinen Spaß, kann kaum stillhalten. Während ich mich durch sieben, acht CDs aus meiner Jugend höre, manchen Titel überspringe, manchen zweimal spiele, sortiere ich den 280 ein: Er hat Kraft, sein Bass besitzt enorme Substanz, ja sogar eine gewisse Wucht und Schwere in Verbindung mit überragender Schnelligkeit, die nebenbei auch zu toller rhythmischer Spannkraft führt - extrem sexy klingt er, kann man nicht anders sagen. Das Klangbild zeigt auch nicht die bis zum geht-nicht-mehr verfeinerte Musizierweise, wie man sie bisweilen bei "audiophilen" Geräten erlebt, sondern spielt immer fest und konkret, quasi "greifbar". Walter Bret muss ein Faible für unmittelbare, ungefilterte Musikwiedergabe haben. Wie "dreckig" eine E-Gitarre klingen kann, das erlebt man über manche High-End-Elektronik ja gar nicht - mit seinem Verstärker, der einen ausgeprägten Live-Charakter hat, schon. Übrigens, kalt aus dem Karton gefiel mir der No. 280 überhaupt nicht. Hoffentlich stehen nur eingespielte Exemplare in den Vorführungen. Dazwischen liegen nämlich Welten!
Denken Sie inzwischen, der No. 280 sei kein Fall für die Konzertgarderobe? Mitnichten. Die schönsten Eindrücke habe ich mir für den Schluss aufgespart. Wie Haydns "Hornsignal"-Symphonie, aufgenommen vom Austro-Hungarian Haydn Orchestra mit Ádám Fisher, eine in natürlicher Akustik - im Haydnsaal in Esterázy - eingespielte Produktion. Dem WBE gelingt eine stabile und eindeutige Anordnung der Instrumente im Raum, von dessen Tiefe mir die weit hinten sitzenden Hörner eine ebenso klare Vorstellung geben wie die Positionen der Streicher von seiner Breite. Bei den Klangfarben der Orchesterinstrumente neigt der No. 280 weder zum überzuckern noch zum Firnis-Auftrag. Sie sind kräftig, klar und ehrlich. Hören Sie nur die Attacke der metallisch-warm glänzenden Hörner - genau so müssen die klingen!
Der No. 280 rockt und swingt klasse. Er fokussiert Musiker mit hoher Präzision in genau vermessenen Räumen. Seine Farbintensität, Dynamik und Schnelligkeit prädestinieren ihn auch für packende Klassikprogramme - zurücklehnen und wegdösen sind allerdings ausgeschlossen. Mich hat die schonungslos-direkte Wiedergabe begeistert. Das hier wäre meine Wahl. überlegen Sie mal: Wer an Eingang 1 eine Phonostufe und an Eingang 2 einen Wandler für CD und Radio hängt, der kommt doch mit zwei Eingängen aus, oder?!
Heinz Gelking
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