Nach Art des Hauses
von Winfried Dunkel
Es scheint an der Zeit, zuzugeben, daß auch ich Leser von HÖRERLEBNIS bin. Wenn das neue Heft erscheint, bin ich immer gespannt: Hat sich alles so realisieren lassen wie geplant, wie steht’s mit der Gesamterscheinung und - wurde mal wieder ein Tippfehler trotz dreifachen Lektorates übersehen, oder haben die diversen PC-Programme erneut "zugeschlagen"? Hauptsächlich aber lese ich dann in Ruhe und ohne den unvermeidlichen Streß, den Produktion und Redaktionsschluß erzeugen, die Arbeiten der Kollegen. Dabei fiel mir unlängst der Bericht über die Hybrid-Phonostufe von WBE besonders auf; sicher, daß dieser gedruckt würde, war schon klar (ich sitze ja mit in der "Leitstelle" und mache das Schlußlektorat), es ergab sich jedoch sowas wie ein "Ach-ja-Gefühl". Das soll heißen: Produkte dieses Herstellers hatten wir schon mehrfach im Heft, nun solch eine bemerkenswerte Sache (Röhren und Transistoren in friedlicher, klangfördernder Koexistenz). Soll des weiteren heißen: Meine ganz persönliche Neugier war geweckt - ich wollte auch mal ein WBE-Gerät in meiner Kette (besser: in meinem Studio) hören. Da ich keine Lust verspürte, umfängliche Auf- und Umstellaktionen vorzunehmen, bot sich der D/A-Wandler "Interpreter No. 72" an. Wandler sind eine glatte, problemlose Sache - also: Herrn Bret angerufen, Projekt besprochen und los ging’s.
Einige Tage später kam ein umfängliches Paket mit der Post. Aha, der WBE-Wandler! Ich gedachte, das Gerät gleich im Studio zu postieren, doch ... das besagte Paket enthielt deren drei!? Mir fiel der Artikel des Kollegen Elmar Jung über WBEs Phono ein: Auch dieses Gerät besteht aus drei Einheiten, nämlich dem Phonoverstärker selbst, sowie zwei separaten Netzteilen. Nach Art des Hauses kommt folglich auch der Wandler als Trinität daher, nämlich in Form der eigentlichen D/A-Elektronik und zwei Netzteilen, deren eines die analoge, das andere die digitale Sektion versorgt. Damit Verwechslungen ausgeschlossen sind, verfügt Netzteil 1 über einen dreipoligen, Netzteil 2 über einen vierpoligen XLR-Anschluß. Das sollten wir uns genauer ansehen:
Jedes der beiden Netzteile (Abmessungen: B x H x T = 133 x 70 x 240 mm) trägt rückseitig den Netzschalter, eine vergoldete Masseklemme und die XLR-Ausgangsbuchse, an der die gefilterten Sekundärspannungen anstehen.
Am Wandler selbst finden wir zwecks elektrischer Verbindung zwei fest montierte Kabel mit den entsprechenden XLR-Steckern, welche mit den Netzteilen verbunden werden. Walter Bret hegt Bedenken hinsichtlich zahlreicher Steckkontakte, weshalb eben die Kleinspannungskabel nur einseitig lösbar sind. Konsequenterweise gilt das auch für die beiden phasenmarkierten Netzkabel, die ebenfalls fest mit den Netzteilen verbunden sind. Zeitgenossen, die gerne auch mit Stromkabeln experimentieren, müssen hier ihre latente Lust zügeln.
Daß die beiden Netzgeräte auch Filterfunktionen ausüben, wurde bereits gesagt; Sie können folglich diesen Wandler ohne aufwendige separate Netzfilter betreiben.
Design und Anschlußtechnik
Sachlich, funktionell, von großem optischen Reiz - so ließe sich dieses Trio im Telegrammstil beschreiben. Schwarze Ganzmetallgehäuse mit Frontblenden aus lackschwarzem Acryl, an den Netzteilen je eine, am Wandler drei LEDs, die rubinrot leuchten, ohne aufsehenheischende "Hingucker" zu sein: dezent und vornehm.
Die drei LEDs des Wandlers signalisieren (von links nach rechts) "Deemphasis" (Decodierung tonträgerseitiger Preemphasis - wie schon mal angemerkt, eine Art "digitale RIAA", die in der Frühzeit des Mediums verwendet wurde, um Granulatrauschen zu minimieren), "Digital Error" (der angewählte Eingang ist nicht belegt, bzw. das dort angeschlossene Gerät nicht eingeschaltet) und "Betrieb". Zwischen den Anzeigen für Error und Betrieb findet sich der griffige Eingangswahlschalter mit vier Zuordnungen sowie der Stellung "Mute". Letztere sollte immer dann benutzt werden, wenn man Geräte anschließt oder abtrennt.
Das war’s denn auch - übersichtliche, praxisgerechte Bedienung ohne Fragezeichen, sinnvolle optische Funktionsanzeigen. Zum Musikhören braucht es nicht mehr; wenngleich ich persönlich gerne noch weitere Statusanzeigen sehe, der Hörer zu Hause ist hinreichend informiert: Netzspannung vorhanden?, Wandler in Betrieb?, Datenstrom läuft?, alter Tonträger mit Preemphasis? - dem privaten Anwender dürfte das Information genug sein, vielleicht sogar mehr als genug.
Auf der Rückseite des Wandlers sind folgende Anschlüsse (von links nach rechts) in drei Gruppen vorhanden: Analog-Ausgang: Zwei Cinchbuchsen; Digital-Ausgänge: dreipoliger XLR (AES/EBU, 110 Ohm), Cinchbuchse (SPDIF, 75 Ohm), Toslink-Lichtwellenleiter; Digital-Eingänge: dreipoliger XLR (Eingang 4, AES-EBU), BNC (Eingang 3, SPDIF), Cinch (Eingang 2, SPDIF) und Lichtwellenleiter (Eingang 1). Alle Cinch-, XLR-und BNC-Anschlüsse sind vergoldet.
Ganz rechts, oben über den Digitaleingängen, führen die beiden Kabel der Stromversorgung ins Gerät. Und eine vergoldete Masseklemme gibt es auch, sie findet sich rechts unterhalb des Analogausgangs.
Fertig angeschlossen und aufgestellt, erweist sich der "Interpreter No. 72" als echtes Schmuckstück: Die tiefschwarzen, glänzenden Acrylfronten mit den rubinfarbenen LEDs ... einfach schön, zeitlos schön! Wermutströpfchen: Die edlen Fronten lassen jeden Fingerabdruck erkennen, ein weiches Poliertuch sollte daher stets in greifbarer Nähe sein...
Einige Worte zur Technik
WBE verfolgt weitgehend eigenständige Vorstellungen, was die Realisierung digitalen Layouts anbetrifft. Bei hochklassigen Produkten wird zunehmend die im Profibereich übliche Übertragerkoppelung der Ein- und Ausgänge verwendet - so auch im Interpreter No. 72. Die vorgenannte Eigenständigkeit findet sich in der sehr interessanten Konzeption des Digitalfilters, welches über einen 26 x 24-bit-Parallelmultiplizierer mit 32-bit-Zwischenspeicher ("Akkumulator" genannt) bei 8-fach Oversampling arbeitet. Die Dämpfung im Sperrbereich ist größer als 118 dB und die sog. Durchlaßwelligkeit dürfte allenfalls von akademischer Bedeutung sein - ich habe keine Lust, all die Nullen hinter dem Komma zu zählen...
Die so wichtige D/A-Wandlung besorgen zwei Colinear-Wandler der höchsten Selektionsstufe mit 20 bit und 8-fach Oversampling; übrigens werden eingangsseitig Wortlängen bis 24 bit verarbeitet.
Beim Analogfilter schließlich finden wir ein impuls-, phasen- und gruppenlaufzeitoptimiertes GIC-Filter. In diesem Schaltungsteil finden u.a. acht ultrapräzise Burr-Brown-Operationsverstärker vom Typ OPA 627 Verwendung, die, salopp ausgedrückt, "verdammt teuer" sind!
Es steckt mithin viel know-how und "Gehirnschmalz" in dem kleinen, schwarzen "Kistchen" (B x H x T = 284 x 70 x 260 mm); und weil die verwendeten Elektronikbauteile von hoher Qualität und clever eingesetzt sind, entsteht bei Ihnen womöglich jetzt ein "Neugierpegel", der mich veranlaßt, es der länglichen Vorrede nun genug sein zu lassen: Hören wir Musik!
Kommentar
Das kennt man ja zur Genüge: Digitale Geräte, speziell D/A-Wandler, mögen oder fordern Vorwärm- bzw. Verweilzeiten am Netz, die nicht unbeträchtlich sind, soll es optimal klingen. Der Interpreter No. 72 macht da keine Ausnahme - nach dem Auspacken und Anschließen sollten Sie ihm mindestens 24 Stunden Zeit geben, sich "am Strom zu laben". So gestärkt, bietet WBEs Wandler bereits Beachtliches - doch mußte ich eindeutig feststellen, daß er nach weiteren zwei, drei Tagen ununterbrochen am Netz nochmals zulegte; nicht plakativ, sondern in jener subtilen Art und Weise, die gerade dem erfahrenen und anspruchsvollen Highender Laune macht, weil mikrokosmische Strukturen zunehmend durchziselierter erscheinen und ... wie soll ich’s formulieren? ... ja: leuchtkräftiger daherkommen. Auch das zählt zur "Art des Hauses" und sollte Beachtung finden. Dann nämlich können Sie mit dem Interpreter No. 72 Musik in jener Intensität genießen, wie ich es nun mit dem geschriebenen Wort zu umreißen versuche.
Alte Musik - wie üblich
Ich möchte es nicht abermals vokabelintensiv ausbreiten, doch sei kurz erwähnt, daß gerade Alte Musik jedwedes Gerät extrem fordert. Wie wird der Interpreter No. 72 damit fertig? Im Player rotiert TELDEC 8.44015 "Minnesang und Spruchdichtung", die am Schluß einige takes aus der vorzüglichen LP "Musik der Spielleute" enthält - leider reichte der verfügbare Speicherplatz nicht aus, selbige zur Gänze mitzunehmen. So, wie sich die CD darstellt, bildet die Musik der Spielleute die undankbare Rolle des Füllmaterials, das thematisch nicht zu den vorhergehenden Werken der Minnesänger passen will. Die hier in Rede stehenden Spielleute nämlich waren zuvörderst "Angestellte" zu Geld und Ansehen gekommener Troubadours; später schufen sie auch eigene Melodien mit unverwechselbarem Ambiente. Von letztgenannten finden wir auf dieser CD einige wenige. Lassen wir musikgeschichtliche Belange außen vor und hören die wundervoll gespielten ("Studio der Frühen Musik", Ltg.: Thomas Binkley) und aufgenommenen Instrumentalwerke. Besonders Titel 19 "Estampie" zeigt sich aussagefähig: Die enorm heiklen Glöckchenanschläge, wo es gilt, direktes Auftreffen des Schlegels und streifenden Anschlag zu unterscheiden, stellen für den Interpreter No. 72 eine völlig leichte Übung dar. Dies ist aber nur ein Punkt, der mit jener erstklassigen Aufnahme auffällt. Bemerkenswert scheint mir insbesondere der "rote Faden", den Walter Brets Wandler aufzeigt: Die Musik erklingt im getreulich gezeichneten Aufnahmeraum, dessen Größe vollinhaltlich rüberkommt; und Größe bedeutet letztlich auch, daß tiefe Frequenzen, von denen es hier genügend gibt, leicht und ungepreßt auf den Hörer "zurollen". Die Wiedergabe via Interpreter No. 72 steht auf solider Basis, der jegliche Ausdünnung fehlt, baut sich von unten her auf und erreicht bruchlos jene Regionen, in denen Helle und Feinheit, Ziselierung und Mikrokosmos gefordert und von ihm erfüllt werden. Das scheinbar simpel zu reproduzierende Glöckchen hat’s in sich: ungemein schnell einschwingend, muß der sich bildende Ton (bzw. Klang) vom Wandler umgesetzt werden - hierbei differenziert er problemfrei die genannten verschiedenen Anschlagsmodalitäten.
"Ancient Turkish Music in Europe" - unter diesem Titel stellt HUNGAROTON auf der CD 12560-2 alttürkische Musik aus dem 16. bis 18. Jahrhundert vor. Leser, die auf unseren "Hifi-Tagen" in Heiligenhaus oder auf der High End meinen Vortrag "Musik durch Zeit und Raum" gehört haben, wissen, worum es geht: Nicht gerade leicht goutierbare, gleichwohl faszinierende und vorzüglich dargebotene Musik in kongenialer Aufnahmequalität. Im Titel 3 erklingen drei Tänze aus dem Linus-Manuskript, welche dem Equipment allerhand abverlangen - tiefe, wuchtige Schläge auf der Vasentrommel (Tombak), die etwas näselnde türkische Fidel (Keman), die nachgerade erschreckend dynamische Doppelrohrflöte und das vielgestaltige Schlagwerk ... tatsächlich darf man sagen: Klangbad pur. Titel 7 ("Panagyric on Pasha Osmán") setzt noch einiges drauf: Tonmeister Endre Radányi hält das Bühnenzentrum frei für den Sänger, dessen markante, minimal metallische Stimme in realer "Mannshöhe" erschallt; links und rechts von typischen Instrumenten begleitet. Zuweilen wird rechts hinter dem Sänger (weit hinter ihm) eine Art Gong angeschlagen, dessen Ein- und Ausschwingen der Interpreter No. 72 in beeindruckender Weise ebenso darstellt wie dessen Schallenergetik.
Mit dieser exzellenten Aufnahme zeigt sich des weiteren sehr deutlich, daß der Interpreter No. 72 keine Limitierungen einbringt. Da vom Tonträger vorgegeben, zeichnet er sehr genau die Relationen Vorne/Hinten (Axialortung), die heikle räumliche Oben/Unten-Ortung, selbstredend Links und Rechts und, schwieriger, auch die Überbreite kommt sauber zu Gehör. Etliche Instrumente (je nach Titel verschiedene) stehen weit rechts oder links außerhalb der Basis, werden an ihren tontechnisch bedingten Standorten real dokumentiert - nicht nur tonal, sondern auch perkussiv. Womit ich mal wieder bei einem meiner Lieblingsthemen bin: Klang, bzw. Tonalität eines Instrumentes reproduzieren - das kann (fast) jeder. Aber diesem Instrument seine physische Beschaffenheit zu belassen, besser: in der Reproduktion darstellen zu können - das ist die Hohe Schule der Audio-Elektronik! Damit meine ich (als Beispiel) folgendes: Die Frequenzzusammensetzung der beim Anschlagen einer Tombak entstehenden Töne rüberbringen, das stellt kein großes Problem dar. Die Tombak jedoch spürbar, anfaßbar und greifbar zu reproduzieren - das kann beileibe nicht jedes Gerät. Wenn jenes ungemein variable Idiophon nicht nur zu hören ist, sondern gewissermaßen Bauchdecke und Zwerchfell massiert, dann haben wir es mit livenaher Wiedergabe zu tun. Die Beispiele ließen sich fortsetzen, kurz nur noch dieses: Wenn eine Santur nur "tönt" - nun ja ... fühlt man sie jedoch im Gehörgang, auf dem Trommelfell, bringt sie die Luft des Hörraumes zum Schwingen - dann ist es das, was ich "Perkussivität" nenne: Nicht nur hör-, sondern auch spürbare Reproduktion. Der Interpreter No. 72 hat es, kann es.
Zwecks Absicherung obiger Auslassungen noch kurz zur CD "Danses Anciennes de Hongrie", HMF 90.1003. Das Clemencic-Consort spielt Lieder und Tänze aus Ungarn und Transsylvanien des 17. Jahrhunderts. "Otödik Tancz" heißt der Titel 1 - wenn Sie "sowas" zum erstenmal hören, empfiehlt sich ein Sicherheitsgurt ... über die gesamte Bogenlänge "gesägte" Fideltöne, eine Mischung aus Ländler und Walzer - wie heißt es so schön: "Da geht die Post ab". Beschreiben? Unmöglich. Hören Sie selbst, amüsieren Sie sich selbst! Faszinierend auch take 7: "Ritka" - es erklingt ein virtuos "geklöppeltes" Xylophon. Und der Interpreter No. 72 überzeugt wiederum mit seiner Musikaliät und Präzision: Die harten, gleichwohl weich gerundeten Impulse der Klanghölzer erfahren vorbildgerechte Darstellung. Was nicht leicht ist: Dem harten Anschlag folgt ein kurzer "peak" mit hellen Obertönen, der rasch abebbt und sehr kurz und weich "aussingt". Dies darzustellen, erfordert beträchtliche Fähigkeiten der Elektronik; Überschwinger nämlich würden das Typische des hier gespielten Xylophons verwischen.
Positionale Details
Nach all der Exotik nun aber zu Bekannterem. Der große Johann Sebastian Bach verfaßte jenes Werk, das nun in Rede steht: "Brandenburgisches Konzert Nr. 5" (BWV 1050). Mir liegt es u.a. auf CD in einer Einspielung der DEUTSCHEN GRAMMOPHON ARCHIV (DGA 410501-2) vor. Unter der Leitung von Trevor Pinnock spielt das weltbekannte Ensemble "The English Concert" - und stellt auf diesem Tonträger die aus meiner Sicht der Dinge maßstabsetzende Interpretation des hinreißenden Werkes vor. Tonmeister Hans-Peter Schweigmann zeichnet für die erstklassige Aufnahme verantwortlich.
Damit ich nicht schon wieder über den von mir so verehrten Johann Sebastian Bach zu referieren beginne, soll nur von der Wiedergabe des Werkes die Rede sein - wenn’s auch schwerfällt!
Das kleine, mit Cembalo, Traversflöte, Violinen, Viola und Violoncello besetzte Orchester erklingt in einem weiten, akustisch vorzüglich tragenden Saal. Das Klangbild präsentiert sich in völlig natürlicher Breite und räumlicher Höhe, wobei die positionalen Höhenunterschiede der einzelnen Instrumente exakt nachgezeichnet sind - wie der äußerst gelungene Tonträger es mitbringt. In summa entsteht daraus jener Habitus, der bei geschlossenen Augen (Sie wissen: Ausschaltung des Visualprimates!) den Hörer ins Live-Konzert versetzt. Tonmeister Schweigmann hat es fernerhin verstanden, jedem Instrument seine Individualität zu belassen, womit er jene chorische Gesamtheit schuf, aus der allein Musikerleben entstehen kann. Da ist nichts "gezogen", da wird nichts unterschlagen - die Aufnahme zeigt sich frei von all den gefürchteten Mätzchen, mit denen diverse Label sich einstens zu profilieren suchten. In dieser chorischen Gesamtheit hören wir, als wär’s live, feine und feinste Einzelheiten; die wohl interessanteste sei hier erwähnt: Die Tastatur des Cembalo befindet sich rechtsseitig im Raum, wobei das Instrument schräg nach hinten zeigt. Das ist ohne weiteres hörbar wegen der einwandfreien Nachvollziehbarkeit der Tonbildung - und die tieftönigen Saiten eines Cembalo befinden sich logischerweise im flügelartig geschwungenen, längeren Teil des Korpus’, der zweifelsfrei, beginnend hinter den Manualen, sich gegen die hintere Raummitte erstreckt. Das alles zeichnet Walter Brets Wandler einwandfrei nach.
Ergänzend wäre anzumerken: Diese CD klingt zuweilen "kratzbürstig", nämlich immer dann, wenn die Wiedergabekette - und speziell der D/A-Wandler - Irritationen einbringen. Es wird ein äußerst hohes Maß an Feinzeichnung und Diversifikationsfähigkeit gefordert; wenn diese Anforderungen nicht erfüllt werden, gerät der Genuß weniger groß, entsteht womöglich gar Ablehnung. Das von unten herauf aufbauende Klangbild des Interpreter No. 72 vermittelt Natürlichkeit sowie musikalischen Fluß - und gerade letzteres ist bei Bach unverzichtbar!
Schnelligkeit und Schubkraft
Nein, jetzt kommt keine Abhandlung über den Bau von Triebwerken... Wieder ernsthaft: Ist Ihnen auch schon einmal aufgefallen, daß gewisse Geräte zwar Klang und Ton beherrschen, jedoch - als Analogon zur Perkussivität - kaum in der Lage sind, "Luft zu schieben"? Vorrangig erwartet man Druck und Schub von Lautsprechern - erhalten die jedoch nicht den entsprechenden "Input", kommt halt kein adäquates Erlebnis zu Gehör. Auf der Fahndungsliste steht nun in aller Regel die vielleicht zu "lahme" Endstufe. Aber auch die kann unschuldig sein, wenn nämlich der Vorverstärker ... und so weiter. Man sollte nicht vergessen, daß auch (oder gerade?) die Quellengeräte, welche man so gerne "Frontend" heißt, eine wichtige Rolle spielen. Der "müde" Tonabnehmer, der "schlapp agierende" Wandler ... halt - da haben wir es! Im Digitalbereich nimmt meiner Überzeugung nach der Wandler die Primärposition ein: Wenn er Fehler macht, gibt es keinen Rettungsanker mehr. Das CD-Laufwerk (sollte nicht, aber) darf durchaus Lesefehler anliefern, der Wandler muß das korrigieren, bereinigen, ins analoge Medium umsetzen. Und das muß schnell gehen! Ist das nicht der Fall, haben wir sie, die nervende Digitalwiedergabe. Rechenfehler können Schärfen erzeugen, räumliche Abbildung reduzieren bis fälschen etc. Letztendlich kann aus dem Zusammenwirken aller Komponenten eines Wandlers auch ein zu langsamer Signaltransfer resultieren - und weg sind dynamische Attacke, Perkussivität, Schubkraft sowie Feinzeichnung! Gewendet läßt sich sagen: Ein gut konstruierter Wandler vermeidet derlei Fehler - und wir können entspannt und mit Genuß auch CD hören.
Zu den Schnellen seiner Zunft zählt zweifelsohne auch der Interpreter No. 72. Und daher besitzt er all die Meriten, welche zum Musikhören so unendlich wichtig sind - weiter oben habe ich einige sukzessive aufgeführt. Fix rechnen kann er auch, denn Kratzbürstiges, Rauhes und "Ätzendes" fehlt ihm völlig.
Nochmal exotisch
Mittlerweile habe ich auch die folgende CD schon häufig erwähnt, riskiere es aber nochmals, da sie sehr hilfreich ist, wenn es um Abklärung der Frage geht, wie weit und mit wieviel Energie ein Produkt in den Tiefbaß hinabsteigen kann. "Te Vaka", EUCD 1401, erhältlich über ARC-Musik (Hamburg), stellt uns Musik von der nahe Neuseeland gelegenen Insel Tokelau vor; keine ethnographischen Klänge, sondern komponierte, auf tradierten Formen basierende Werke. Das Instrumentarium ist unalltäglich, genannt seien nur die Maire-Flöte und die Baumtrommel namens Pate. Letztere erzeugt tiefe, resonierende und anschlagharte Impulse, die zum Exitus schwachbrüstiger Lautsprecher führen können, wofern ihr Eigner mit herzhaftem Griff zum Volume-Regler solches Manko ausgleichen möchte... Wenn WBEs Wandler agiert, macht der Hörer eine Reise in die Südsee, hat u.U. Bilder aus dem Film "Die Meuterei auf der Bounty" im Kopf (da erklang auch eine Pate!), wird auf alle Fälle beeindruckt sein von Mühelosigkeit, Energietransport und Feinzeichnung. Wieder einmal dominiert der Eindruck, daß die Wiedergabe tatsächlich auf unerschütterlichem Fundament ruht und von dort nach oben strebt. Wieder einmal überzeugt die Ganzheitlichkeit des Musikgeschehens: da tanzt nichts aus der Reihe, da paßt einfach ein mikroskopisches Mosaiksteinchen zum anderen.
Fazit:
Im Verlaufe der mehrmonatigen Hörerprobung erwies sich der Interpreter No. 72 als ein Gerät, dem ich ohne zu zögern "Musikalität" attestiere. Obgleich verschlissen und viel bemüht, trifft dieser Begriff recht genau ins Schwarze. Auffälligste Eigenschaft ist des Wandlers ganzheitliche Wiedergabe, der jegliche Gimmicks oder Neigungen zur Selbstdarstellung fehlen. Musikalische Geschlossenheit, chorisches Ganzes, fließend, dynamisch, neutral und feinzeichnend - mit diesen wenigen Adjektiven läßt sich der Interpreter No. 72 gut beschreiben. Dabei unterschlägt er nichts, denn schlechte Aufnahmen werden zweifelsfrei als solche dokumentiert - dokumentiert und nicht mit aberrativer Lästigkeit ins Scheinwerferlicht gezerrt, er sagt nur: Da, so hört sich das nun einmal an!
Mit diesem rundum gelungenen D/A-Wandler können auch sehr anspruchsvolle Highender Musik genießen - was will man eigentlich mehr? WD
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